Interview Tab

CINÉ-CLUB VI Roger Behrens

Berlin, 25. März 2011, Kritische Theorie

Popkultur, Massenkultur und Probleme der Urbanität sind nur einige der Themen, mit denen sich Roger Behrens auseinandersetzt. In Berlin sprachen wir mit ihm über das Verhältnis von Film und Wirklichkeit, Verknüpfungen von Ton und Bild sowie über Darstellungen von Gewalt.   
Roger Behrens ist Autor (für Beatpunk Webzine, Jungle World, OPAK, Phase 2 u. a.), Redakteur der Zeitschrift für kritische Theorie und Mitherausgeber der testcard. Gerade arbeitet er an einer Einführung in die Cultural Studies, schreibt ein Büchlein über Verstimmung und wird im Frühjahr 2012 eine Studie über Die Stadt nach der Stadt herausbringen.
 
 
 
Du hast Philosophie und Sozialwissenschaften studiert, Seminare an verschiedenen Universitäten gegeben und bist Autor und Herausgeber von verschiedenen Publikationen, die sich alle mit kritischer Theorie, Ästhetik und Kultur auseinandersetzen. Woher kommt dein Interesse an kritischer Theorie und diese mittlerweile doch schon lange Auseinandersetzung damit?
 
Also lange Auseinandersetzung heißt ja, dass ich schon alt bin …
 
Nein …
 
Nein, das ist ja so! Ich beschäftige mich damit jetzt seit wahrscheinlich zwanzig, dreißig Jahren, und das Interesse an der kritischen Theorie – für mich immer klein geschrieben – ist eigentlich nichts anderes als das Interesse an der Welt. Das Interesse an der kritischen Theorie ergibt sich über die Zustände, in denen wir leben und leben müssen. Jetzt kann man natürlich fragen, warum es ein theoretisches Interesse geworden ist. Ich fürchte, dass ist das Einzige, was ich halbwegs kann. Ich hätte gern etwas Sinnvolles, Praktisches gemacht, und bin dann bei der Theorie gelandet. Allerdings ist für die Frage, wie man kritische Theorie ernsthaft betreiben kann, die Auseinandersetzung mit dem, was überhaupt Theorie heißt, grundlegend.
 
Und was heißt Theorie für dich?
 
Ganz einfach gesagt – obwohl es das Schwierigste ist – Denken. Es gibt den schönen Satz von Adorno, dass man sich nicht von der eigenen Ohnmacht und der Macht der Anderen dumm machen lassen soll. Und das definiert Denken. Im empathischen Sinne ist das Erkenntnis: Selbsterkenntnis, die immer auch Selbstreflexion und Selbstkritik ist. Das sind natürlich Schlagworte, die banal anmuten, weil niemand sagen würde: „Ich denke nicht“. Alle denken irgendwie und alle beanspruchen für sich auch kritisch und reflektiert zu sein. Aber wenn dem so wäre, dann wäre die Welt nicht so wie sie ist.
 
Hat Film oder das Filmische an sich eine Bedeutung oder eine nähere Auswirkung auf deine theoretische Arbeit?
 
Zunehmend ja. Seit den letzten zehn Jahren interessiert mich Film nicht nur als Unterhaltungsprogramm. Film ist ebenso als Gegenstand der Kritik interessant geworden und geht strukturell in das ein, was ich mache. Aber ich würde jetzt nicht behaupten, Filmwissenschaftler oder im strengen Sinn Cineast zu sein; das bin ich auch nie gewesen. 
 
Und was macht dann das Filmische für dich aus?
 
Nun, ich wusste ja nicht in welche Richtung dieses Gespräch gehen würde. Ich habe gedacht, dass ich bestimmt nach irgendwelchen Lieblingsfilmen oder überhaupt nach Filmen, die ich für wichtig halte, gefragt werde. Spontan fällt mir dann immer kaum etwas ein. Ich könnte auch jetzt die Frage, was das Filmische für mich ausmacht, nicht dadurch beantworten, dass ich auf drei oder vier Filme verweise und sage: Das ist es! 
Ich glaube, mich interessiert erst einmal recht Allgemeines. Zum Beispiel, dass es sich beim Film, auch wenn es jetzt sehr einfach und albern klingt, um bewegte Bilder handelt oder um eine Illusion der Bewegung. Eine Illusion der Wirklichkeit, die erzeugt wird. Mich interessiert vor allen Dingen die soziale Geschichte, nämlich im Prinzip das, was über die rein technischen Aspekte des Films hinaus reicht. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Film erfunden, die Psychoanalyse entwickelt und die Philosophie erlebte einen fundamentalen Umbruch.
Daraus ergeben sich verschiedene Linien, die wiederum an verschiedenen Punkten zusammenlaufen. Und das ist etwas, was sich insbesondere am Film ablesen lässt. Ich meine sogar mehr als an anderen Künsten. Bemerkenswerterweise entfacht sich ja die Diskussion um den künstlerischen Status des Films zur selben Zeit, in der die klassischen Künste, Literatur, Malerei, Musik etc., im Übergang zur Avantgarde in Auflösung begriffen sind; und gerade der Film zeigt schon früh, dass er über ästhetische Mittel verfügt, auf die Umbrüche der modernen Gesellschaft zu reagieren, während traditionellen bürgerlichen Kunstformen verstummen, zumindest den sozialen Verhältnissen gegenüber zunehmend disparat werden.
 
Könntest du bitte präzisieren, was das für Linien sind? Warum und inwiefern grenzen sie sich voneinander ab?
 
Wenn man fragt, was das Wesen des Films sei, gibt es ganz unterschiedliche Antworten. Zum Beispiel ist für Godard das Wesen des Films oder das, worum es beim Film immer geht, „Liebe“. Wenn ich einen Begriff nehmen müsste, der Film erklärt beziehungsweise der gleichzeitig durch Film problematisiert wird, wäre das „Wirklichkeit“. Das kann man nun aus zwei Perspektiven beleuchten, die wiederum zu der Frage nach den Linien zurückführen. Eine Perspektive ist, dass es sich ein bisschen eingeschlichen hat, wie selbstverständlich eine Trennung zu machen: Hier ist Wirklichkeit, und wenn wir einen Film sehen, dann ist es nicht Wirklichkeit; hier ist die Wirklichkeit, und wenn wir ins Kino gehen, sind wir irgendwie woanders. Aber diese Art von Trennung halte ich für falsch. Der Film ist Wirklichkeit. 
Die zweite Perspektive hat nun mit dem Wirklichkeitsbegriff selber zu tun. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vollzieht sich ein absoluter Umbruch in dem, was Wirklichkeit heißt. Durch verschiedene Erfindungen und Entdeckungen, zu denen auch der Film gehört, wird klar, dass Wirklichkeit immer eine Konstruktion ist. Trotzdem ist sie etwas anderes als eine Idee, Vorstellung oder ein Begriff im idealistischen Sinne. Sie ist eine materielle Struktur, die konstruiert wird. Der Film ist eine Möglichkeit, diese Struktur zu konstruieren. Also genau das, was eigentlich nicht Wirklichkeit sein soll, konstituiert wiederum das, was wir Wirklichkeit nennen. 
Diese Wirklichkeit ist subtil, betrifft nicht unbedingt die Ebene von Abbildungen oder Ikonographisierung von Bildern, sondern Gesten, Handlungen und auch Sprechweisen. Spätestens mit dem Tonfilm schleichen sich in das alltägliche Leben verschiedene Sachverhalte und Phänomene ein, die eigentlich aus dem Film kommen. Man kann sich nun fragen, wie sie wiederum in den Film gelangt sind. Genau daran lässt sich meines Erachtens zeigen, dass die Grenze zwischen filmischer Wirklichkeit und „wirklicher“ Wirklichkeit gar nicht da ist. Es ist ein sehr fragiles Verhältnis, das permanent neu konstruiert wird. 
In der Psychoanalyse geht es um das Unbewusste und somit um die Frage, inwieweit Film ein technisches Medium ist, welches das Unbewusste darstellen kann. Es gibt verschiedene Theoretiker, die das so sehen oder Begriffe haben, die das darlegen. Benjamin wäre dafür ein gutes Beispiel. Zudem geht es in der Psychoanalyse um das Träumen. Und Leo Löwenthal sagt: „Massenkultur ist Psychoanalyse verkehrt herum“. Also ist Psychoanalyse eng verbunden mit Traumdeutung und Massenkultur und somit wiederum eng mit Film. Film könnte in diesem Sinn eine Art rückwärtsgewandte oder pervertierte Traumdeutung sein. 
Das könnte man auch in Hinblick auf die Philosophie weiterführen. Im deutschen Idealismus, bei Hegel geht es um Begriffe, und das heißt letztendlich um die Frage, inwieweit sich Welt über eine begrifflich strukturierte Logik des Denkens begreifen lässt. Denken ist immer begrifflich strukturiert. Diese Sicherheit, sich auf das begriffliche Denken verlassen zu können, bricht nun Ende des 19. Jahrhunderts zusammen. Und dieser Zusammenbruch heißt, dass die Welt sozusagen unbegreiflich und unbegrifflich wird. Was die modernen Naturwissenschaften herausfinden, hat mit unserem Alltag nichts mehr zu tun. Newtons Fallgesetz kann ich überprüfen: Ich falle die Treppe runter, ich weiß, was das Fallgesetz ist. Relativitätstheorie und Quantenmechanik sind auf diese alltägliche – und mitunter schmerzvolle – Weise nicht überprüfbar. 
Wenn Begriffe fehlen oder unsicher werden, kommen Bilder ins Spiel. So macht der Film ein Angebot, scheinbar in Bildern denken zu können, als könnte durch den Film das begriffliche Denken, das in der Krise ist, durch ein bildliches Denken abgelöst werden. Jedoch ist das Problem bei Bildern, und das kennt man ja vom Träumen, dass es sehr schwer zu ermitteln ist, nach welcher Logik sie verknüpft sind, ja, ob sie überhaupt logisch verknüpfbar sind. Auch der Film ist diesbezüglich eine Illusion: denn auch hinter seiner Bilderordnung steckt letztendlich eine begriffliche Logik. Sie ist es, die die Bilder verbindet. Man könnte auch von einer technischen Logik sprechen. Es ist das Gefühl, etwas geliefert zu bekommen – nämlich „Wirklichkeit“ –, ohne auf die Anstrengung des begrifflichen Denkens angewiesen zu sein. Das unterscheidet den Film etwa vom Buch. Es ist eine größere Mühe, sich ein Buch oder einen Roman durchzulesen, als einen Film zu sehen. Das berührt Sachverhalte, die mich am Film, am Filmischen, am Kino interessieren: Wie wird Wirklichkeit konstruiert, wie wird die Illusion von Wirklichkeit konstruiert?
 
Würdest du sagen, dass diese Konstruktion der Illusion von Wirklichkeit im Film generell und immer für jeglichen Film gilt? Ich würde dem eigentlich widersprechen. Denn es gibt durchaus Filme, die Abstand nehmen zu dem, was sie zeigen und somit auch bestimmte Brüche entstehen lassen. Oder würde das dem gar nicht widersprechen, was du gerade ausgeführt hast?
 
Ich meine, dass es dem nicht widerspricht. Die Konstruktion von Wirklichkeit oder Illusion von Wirklichkeit funktioniert ja nicht einfach durch das Zeigen, durch das Demonstrative oder Illustrative des Films. Lasst uns mal sehr extreme Beispiele zusammen nehmen: Hans Richters Rhythmus 21, Die Braut die sich nicht traut und noch irgendeinen Godard-Film. Natürlich gehen diese Filme auf unterschiedliche Weisen mit Wirklichkeit um. Sie benutzen unterschiedliche Bildkonzepte, Bildformierungen von Welt und Modelle von Bewegung. Aber in letzter Instanz verweisen alle drei Filme auf eine Problematik, nämlich die Welt nicht mehr mit Begriffen als sinngebunden, als Sinneinheit erklären zu können. Und sie geben nicht unbedingt eine Antwort darauf. Man kann aber diskutieren, ob es sich bei Rhythmus 21 um eine andere Dimension des Aufbrechens von Selbstverständlichkeiten handelt, als in einer sehr flachen Reproduktion von Ideologie wie bei Die Braut die sich nicht traut oder in der komplexen allegorischen, „politischen“ Bildmatrix bei Godard. 
Wenn Film grundsätzlich die technische Illusion von bewegten Bildern ist, und diese Bewegung die formale und inhaltliche Logik oder die Logizität des Films selbst ausmacht, könnte das ein Übergang von Hans Richter zu Jean-Luc Godard sein: die Konstruktion von Wirklichkeit nicht als das, was der Film zeigt, sondern was er ist (und der Film ist ja weder die Filmrolle, die DVD, noch die Summe der in Bewegung gebrachten Einzelbilder, noch eben das, was auf der Leinwand gezeigt wird).
Der Film ist Wirklichkeit und die Wirklichkeit ist Film. Wenn die Wirklichkeit durch den Film definiert, also wörtlich begrenzt ist: Was begrenzt dann den Film, wo und wann fängt er an und wo und wann hört der eigentlich auf? Diese Frage geht meines Erachtens über die reine räumliche und reine zeitliche Dimension des Films weit hinaus. Fängt der Film auf der Leinwand an, wenn ich entscheide ins Kino zu gehen, mich informiere, den Trailer angucke, den Bericht lese oder selbst eine Filmidee habe? Geht der Film weiter, wenn ich mich nach dem Kino über den Film unterhalte? Gehört der Abspann dazu – bleibe ich im Kino sitzen, bis die Leinwand schwarz ist? Welche Rückkopplungen gibt es eigentlich vom Film zum Denken, zur Wahrnehmung und zum Wahrnehmungsapparat außerhalb des Kinos? Wenn ich mich beispielsweise mit Hegels Begriffslogik beschäftige, auch wenn ich sie nicht verstehe, bleibt irgendetwas hängen und prägt die Art und Weise, wie ich denke. Also Hegels Philosophie läuft sozusagen weiter, auch wenn ich die Wissenschaft der Logik längst beiseite gelegt habe. Warum soll das beim Film nicht genauso sein? Ich glaube, dass einiges dafür spricht – und das ist gewiss nicht die originellste These – dass es so eine Art „filmischen Blick“ gibt. Und auch wenn wir überhaupt nichts mit Film zu tun haben, prägt er das, was wir an Welt wahrnehmen.
 
Ich finde es spannend, dass du uns zu Beginn deiner Ausführungen gesagt hast, dass du nicht explizit ein paar Filme nennen könntest, die dich berühren oder die du toll findest. Aber auf einem deiner Blogs gibt es eine Rubrik, die Filme, die man vermutlich gesehen haben sollte heißt.
 
Ja? 

Ja. Falls du dich nicht erinnerst, das war zum einen:
Lange Beine – lange Finger, ...
 
… ach so …
 
…, Something weird, Starcrash, Teenage Mother, Forbidden World und der letzte in der Runde war What have you done to Solange?. Warum diese Auswahl?
 
Den Eintrag habe ich vor ein paar Monaten, Ende 2010, geschrieben. Und das eröffnet jetzt ein weites Feld, ergänzt die eben aufgeworfenen Fragen, wo und wann Film anfängt und aufhört, was den Film und das Filmische überhaupt definiert etc. Welcher Unterschied besteht eigentlich zwischen Kino und Fernsehen? Und welche Rolle spielt das Internet? Auf diese Filme bin ich nämlich über Youtube gestoßen. Ich glaube, dass das fast alle Internetbenutzer_innen machen: Man hat mindestens zwei, drei Personen mit denen man sich ständig die Links zu den beknacktesten Youtube-Filmen hin und her schickt. Jedenfalls war ich auf der Suche nach einem Musikstück aus einem Edgar-Wallace-Film und bin so auf diese Filme gestoßen. Ich dachte mir, zumindest so wie diese Trailer zusammengestellt waren, dass das Filme sein könnten, die mich interessieren, gleichwohl ich diese Filme im Kino nicht unbedingt sehen wollen würde. Allerdings gab es das Problem, dass wir ins Kino gehen wollten und es damals, zumindest für mich, nichts Interessantes gab. Dies ist ein Phänomen, was ich auch in anderen Bereichen beobachte: dass das, was mich – jetzt einmal vorsichtig in Anführungszeichen gesagt – „kulturell“ interessiert, eigentlich kaum noch Aktuelles ist. Das gilt in der Musik genauso wie in der Malerei oder in der Literatur. Und beim Film ist es ganz stark. Ich bleibe lieber zu Hause und sehe mir noch einen Godard-Film oder sogar diese deutschen Sechzigerjahre-Edgar-Wallace-Filme an, anstatt ins Kino zu gehen. 
Jedenfalls ist so dieser Eintrag entstanden: mit Filmen, die man vermutlich gesehen haben sollte. Sie sind allesamt als so genannte B-Movies klassifiziert, haben genau deshalb ihren eigenen Charme, und sind zudem längst durch ihre Geschichte kanonisiert. Durchaus haben diese Filme in ästhetischer Hinsicht ihre Eigenarten: Es gibt eine bestimmte Farbigkeit, eine bestimmte Kameraführung, einen bestimmten Bildaufbau – sei es, dass man sich in solchen Filmen sehr früh traute, keine Kameraführung zu haben, was sie immer ein bisschen wie Super 8 aussehen lässt, sei es, dass falsche Farben und fehlende Kontraste sich zu zufälligen Effekten verselbständigen. Selbst die banale, eigentlich langweilige, ressentimentgeladene Erzählweise dieser Filme kann dann zu einer nachgerade surrealen Qualität grotesker Kolportage werden, und die Langeweile gewinnt ihren Witz zurück.
Diese Liste ernsthaft als Empfehlung zu lesen, ist natürlich absurd. Ich habe mich selbst nicht daran gehalten, bisher keinen dieser Filme gesehen. Beziehungsweise hatte ich einen Film, nämlich Starcrash, bereits gesehen, ohne dass ich mich daran bei der Youtube-„Recherche“ daran erinnerte; ja, dass ich Starcrash sogar zu Hause habe, als DVD, ist mir auch erst im Nachhinein aufgefallen. Ich hatte den Film auf DVD vor einiger Zeit im Supermarkt für drei Euro gekauft. Und auch das ist noch einmal so eine Sache: Woher bezieht man seine Filme überhaupt? Für mich kann ich sagen: Einerseits aus dem Internet, andererseits aus dem Supermarkt für drei Euro – aufgrund des Covers. Mit Kinoexpertise hat das freilich nichts zu tun. Ich gebe zu: Mich haben die Stereotypen angesprochen: Starcrash ist ein wenig die Billigversion von Kampfstern Galactica oder Star Wars. Insgesamt werden die üblichen Klischees bedient: Die Frau hat wenig an, aber ist eine Verbindung aus Mutterfigur …
 
… und Barbarella.
 
Ja, genau. Ein militärischer Aspekt kommt auch noch hinzu. Und Männer mit schicken Föhnfrisuren und …
 
… Laserschwertern.
 
… und Laserschwertern, ja! Aber das ist auch eigentlich alles, was man in diesem Film sieht. Und doch erscheinen mir diese Bilder äußerst kraftvoll zu sein, weil solche Bilder eigentlich – und das vielleicht auch im Unterschied zu Begriffen – niemals vollständig in ihren Elementen aufgehen. Nehmen wir zum Beispiel die Barbarella-Figur. Ich kann sie rein schematisch beschreiben, aber es gibt trotzdem Nuancen, die bei der Darstellung solcher Frauentypen in einigen Filmen mehr Erwartungen weckt als bei anderen. Auch wenn die Darstellungen, die kruden Stereotypen, technisch und ideologisch völlig identisch sind. Identisch und idiotisch.
Tja, und ich liste dann solche Machwerke als „Lieblingsfilme“ auf. Das ist vielleicht ein unwirscher Reflex von mir gegen die vielen Empfehlungen von Filmen, die man angeblich unbedingt gesehen haben muss, die als Meisterwerke und Meilensteine der Kinogeschichte deklariert werden. Solche Kanonisierungen verselbständigen sich, und auf einmal gelten Filme als wichtig, die man gar nicht gesehen haben muss, um über sie zu reden und um allgemein beim Thema Kino mitreden zu können. Ein Phänomen, das es auch in anderen Bereichen gibt. Wir haben gelernt, dass der Messias von Kloppstock oder Goethes Faust wichtige Bücher sind – und trotzdem hat die kaum jemand gelesen. Mittlerweile gehören diese Werke vielleicht auch gar nicht mehr unbedingt zum Sozialisationsbestand durchschnittlicher Bildungsbiografien. Trotzdem weiß man, dass sie ein gewisses Gewicht haben. In Bezug auf den Film gibt es ebenfalls solche Kanonisierungen und Historisierungen, man denke an Birth of a Nation von Griffith oder Filme von Lang, Eisenstein und anderen. Ich behaupte: von Metropolis oder Oktober kennen viele wohl nur den Titel oder einzelne Szenen. Man darf sich in bestimmten Kreisen nicht eingestehen, bestimmte Filme nicht gesehen zu haben. 
Ich glaube, dass das auch für aktuelle Filme gilt: Plötzlich ist man in einer Blase, in der wochenlang über einen Film geredet wird und am Ende stellt sich heraus, dass niemand ihn gesehen hat – obwohl alle darüber reden und urteilen konnten, als hätten sie ihn gesehen.
Übrigens war bei den genannten Filmen auch die Musik ausschlaggebend für mich. Das kann ich an dieser Stelle noch als Antwort auf die Frage nachholen, was mich zum Film geführt hat: die Musik, überhaupt die Verbindung von Ton und Bild. Das berührt etwa die Frage, wie Bilder durch Klang oder Sprache erzeugt werden und umgekehrt der Klang durch Bilder eine andere Dimension bekommt. Beispielsweise bei der Verwendung von Ton in frühen Disney-Filmen, sowohl den Mickey Mouse- als auch den Silly Symphonies-Episoden. Den ersten abendfüllende Tonspielfilm The Jazz Singer von 1927 habe ich jedoch noch nie gesehen. Allerdings könnte ich jetzt andere Filme nennen. Zum Beispiel Kubricks … 
 
The Shining...
 
Shining! Den hab ich gerade erst gesehen. Ich dachte jetzt eher an Clockwork Orange und 2001
 
Könntest du nochmals konkretisieren, welche Rolle Film innerhalb deines Denkens oder deiner (theoretischen) Arbeit spielt? 
 
Ich kann das vielleicht an drei Themen exemplarisch festmachen und fange am besten mit Wizard of Oz an. Ich arbeite ja schon sehr lange an meiner Doktorarbeit, die irgendwann auch noch mal fertig wird: Es geht um eine kritische Theorie der Popkultur, also um Gesellschaftsanalyse unter dem Vorzeichen des Pop zwischen 1955 und 2011; in der Mitte das „kulturelle Schaltjahr“ 1978 – ACDC veröffentlichen ihr Album Powerage – das habe ich als Arbeitstitel des Vorhabens genommen. Als Einführung in das Powerage, das Zeitalter des Pop, gibt es historische Exkurse, die bis ins späte achtzehnte Jahrhundert zurückreichen. Jedes Kapitel behandelt in einer besonderen Weise eine Rezeption oder Adaption vom Wizard of Oz. Angefangen mit dem Original; also mit dem Buch von Lyman Frank Baum und Illustrationen von William Wallace Denslow, welches 1900 erschienen und signifikant für diese Umbruchszeit ist. Der Kapitalismus oder die bürgerliche Gesellschaft ist in der Krise: Auf der einen Seite der Imperialismus, auf der anderen Seite die langsame Entwicklung hin zu einer Angestellten- und Konsumkultur. Relativ früh gibt es eine Reihe von Verfilmungen des Stoffes. Der erste Film entstand bereits 1908, eine Version mit Oliver Hardy in den Zwanziger Jahren und 1939 die berühmte Verfilmung von Victor Fleming. In der letztgenannten Adaption sind es vier Elemente, die für mich wichtig sind, um den Übergang von der fordistischen zur postfordistischen, beziehungsweise von der kulturindustriellen zur popkulturellen Gesellschaft zu kennzeichnen. Erstens wird dir Reise in das Land Oz, anders als in der Literaturvorlage, als ein Traum von Dorothy dargestellt. Dadurch gewinnt die Geschichte eine ganz andere Gestalt. In dem Traum wird deutlich, dass auch in Oz die Probleme, die Dorothy in der Wachwelt hat, nicht zu bewältigen sind. Auch sämtliche anderen Filmelemente erhalten somit eine völlig neue Bedeutung: der Sturm (der quasi zur Metapher für den Eintritt ins Traumreich wird), das Verhältnis von Sepia zur Farbe (die Wachwelt ist in Sepia, die Traumwelt indes in Farbe – da Flemings Wizard of Oz zu den ersten Farbfilmen gehört, scheint mir das nicht unwesentlich zu sein). Das zweite Element ist die Ambivalenz der Charaktere. Es gibt beispielsweise einen Zauberer, der aber ein Betrüger ist; was sich letztendlich in Wohlgefallen auflöst. Oder: Das Stück Over the Rainbow, einer der meist gecoverten Songs der Welt. Es ist schon bemerkenswert, dass man in Verbindung mit diesem Lied, ebenso wie bei den Filmplakaten, wohl automatisch an ein Land hinter dem Regenbogen denkt. Im ganzen Film gibt es aber keinen Regenbogen, und übrigens auch in der Buchvorlage nicht. Und das ist der dritte Punkt, der mich interessiert. Nicht zuletzt beschäftigt mich die Formung bestimmter Stereotypen. Während der Filmarbeiten war Judy Garland in der Pubertät, so dass ihre Brüste zu wachsen begannen. Mit Drogen wurde dann versucht, das Wachstum zu verhindern; was auch der Grund für ihre großen, aufgerissen wirkenden Augen sein soll.
Anhand von zwei weiteren Film-Versionen beziehungsweise Adaptionen von The Wonderful Wizard of Oz lässt sich die Thematik weiter verfolgen. Einmal Zardoz, einem Science-Fiction-Film von 1974. Eigentlich ein typischer Trash-Film, der aber doch mit einer Vielzahl raffinierter Effekte, mit Symbolen und Allegorien arbeitet, die ihn dennoch als kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen der siebziger Jahre deutbar machen.
 
Es ist nicht nur „camp“, was einen heute daran interessiert.
 
Nein, das wäre meines Erachtens zu einfach und kappt auch vorschnell Möglichkeiten der kritischen Interpretation ab. Solche Filme sind nicht dort interessant, wo sie nach ihren ästhetischen Strategien entschlüsselt werden können, sondern wo sie an den ästhetischen Strategien eigentlich permanent scheitern, so dass sich das, was der Film zu bieten hat, auf anderer Ebene als der ästhetischen darstellen muss. Ein ähnlicher Fall – aber als Film wirklich nicht zu retten – ist The Wiz von 1978 (da sind wir wieder in dem „kulturellen Schaltjahr“).
 
Mit Michael Jackson und Diana Ross.
 
Genau. Zunächst eine erfolgreiche Broadway-Adaption, hat man sich dann zur Verfilmung entschlossen. Dieser Punkt ist in musikalischer Perspektive von Bedeutung und wurde mit der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung in Verbindung gebracht. Zumindest ist das einer der Versuche, Antirassismus beziehungsweise eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rassismus in der Kulturindustrie selbstverständlich werden zu lassen. 
Ein großer Unterschied zwischen Flemings Version und The Wizbesteht in den verschiedenen Spielorten. Während das Original in der Prärie von Kansas spielte, hat man nun die Großstadt erschlossen. Schließlich landet Diana Ross als Dorothy aber in einer Wüste: der Industriebrache des Weltausstellungsgeländes von 1939 (dass man übrigens auch vom Ende von Men In Black kennen könnte). Da ergibt sich für mich ein interessanter Rückbezug, nicht zuletzt zu Flemings Wizard of Oz, der ja 1939 in die Kinos kam: Zur selben Zeit beginnt in Europa der Zweite Weltkrieg; und die Weltausstellung von 1939 ist selbst bemerkenswert, da sie nicht mehr nur eine internationale Leistungsschau von Staaten ist, sondern jetzt offensiv der Kapitalismus seine Errungenschaften durch Großkonzerne präsentiert, die nun ihre eigenen Pavillons haben. Die Ausstellung 1939 stellt – und auch das geht, glaube ich, mit Flemings Film zusammen – in neuer Weise so etwas wie Zukunft dar; eine Zukunft, die mit einem guten Kapitalismus möglich ist. Es ergibt sich also folgende Gemengelage: der Zweite Weltkrieg beginnt, am Broadway läuft Wizard of Oz an, Adorno und Horkheimer sind vor Ort in New York … obwohl, nein, ich glaube, Horkheimer war zu dem Zeitpunkt in Paris… Jedenfalls solche Gemengelagen halte ich für interessant. Das war erst das erste Beispiel.
Jetzt kommt das Zweite. Das geht aber schneller. Kubricks 2001 – Odyssee im Weltall. Auch keine originelle These, aber es lässt sich meines Erachtens – ich habe das in einem Text in dem Buch Krise und Illusion einmal versucht – zeigen, dass 2001 der Versuch ist, filmisch umzusetzen, was Adorno und Horkheimer mit der Dialektik der Aufklärung beschreiben. 
 
Das müsstest du jetzt doch noch ein bisschen ausführen …
 
Was Adorno und Horkheimer in diesem Büchlein Dialektik der Aufklärung entwickeln, ist ganz grob das Folgende: Sie fragen sich, wie die Welt zu dem hatte werden können, was wir Anfang der vierziger Jahre beobachten. Über eine Kritik von Herrschaftsverhältnissen versuchen sie das zu rekonstruieren und gehen dabei als anständige Marxisten vor, nämlich über die Frage, wie sich Produktionsverhältnisse organisieren, und darüber hinaus, wie sich die Logik dieser Produktionsverhältnisse, die immer auch schon eine Logik der Herrschaft ist, in der Struktur der Subjekte festsetzt. Das ist das Entscheidende. Im Kulturindustriekapitel und in dem Abschnitt „Elemente des Antisemitismus“ machen Adorno und Horkheimer die für sie aktuelle Problemlage deutlich. Das ist die Gegenwart mit der sie sich beschäftigen. Dazu gibt es eine Einführung zum Begriff der Aufklärung und zwei Exkurse: einen über die homerische Odyssee und einen über de Sade, Nietzsche, die französische Revolution und dergleichen. 
Ich meine, dass man genau das wunderbar auf die verschiedenen Teile von 2001 abbilden kann. Nämlich in der Problematisierung, die in der gesamten These der Dialektik der Aufklärung eine Rolle spielt: Mythos schlägt in Aufklärung um, beziehungsweise Aufklärung schlägt wieder in Mythos zurück, Rationalität erhält einen irrationalen Charakter, indem sie instrumentell verkürzt wird; Vernunft verbindet sich mit Herrschaft. Damit beginnt der Film 2001. In der ersten Szene „The Dawn of Man“ wird durch einen Monolithen ein mythischer Zusammenhang durchbrochen. Gewalt macht Geschichte. Eine Gewalt, die Herrschaft in zwei Richtungen darstellt: Einerseits Herrschaft der einen über die anderen, andererseits aber auch Selbstbeherrschung. Und dann gibt es einen großen Sprung, der zeigt, wo diese Herrschaft hinführt. Durch einen Match-Cut wird der Handlungsort von der Erde in das Weltall verlegt. Bemerkenswert, dass von nun an Menschen auftreten, wir diese aber nie auf der Erde sehen. Der gesamte Film ist komplett nach Kriterien damals zeitgenössischer Popkultur durchdesignt. Gleichwohl hat dieser Film, mehr als andere vergleichbare Filme der damaligen Zeit, sehr viele unmittelbare gesellschaftliche Anbindungen. Zum Beispiel die Selbstverständlichkeit mit der man im Weltall auf die Toilette geht und dafür sogar eine Gebrauchsanweisung gezeigt bekommt. Oder, dass ein Telefongespräch, das über tausende von Kilometern geführt wird, ein paar Dollar kostet und über AT&T abgerechnet wird. Oder auch, dass die Mondstation ein Hilton-Hotel ist, in das man einchecken kann. Das alles sind Elemente, die indirekt auf das verweisen, was Adorno und Horkheimer mit Kulturindustrie meinen: Dass alle Kultur zur Ware wird. Das, was diese Warenstruktur ausmacht, schreibt sich in die Lebensverhältnisse ein. Diese Warenstruktur gewinnt eine Normalität und gleichzeitig eine Macht, die uns in unseren Handlungen verdinglicht. Und dann gibt es eine  – und das wäre der Rückfall von Aufklärung in Mythos – bildintensive Sequenz im Raumschiff bei der Mission. In der zeigt sich, dass die einzig emotional handelnde Person der Computer – dargestellt als einäugiges Wesen, gleichsam  als Zyklop – ist. Und nur David Bowman überlebt: ohne weiteres lässt sich an den Kampf zwischen David und Goliath denken, wenn HAL, der Computer, von Bowman – der Bogenmann – besiegt wird. 
Da der Film Menschen nicht in gesellschaftlichen Verhältnissen auf dem Planeten Erde zeigt, kann man sich insgesamt fragen, was zur selben Zeit eigentlich hier passiert. Die letzte Einstellung zeigt das Auge des „Sternenkindes“, was einen Anschluss zu dem nächsten Kubrick-Film A Clockwork Orange bildet: der Film beginnt mit einem Auge, das Auge der Hauptfigur Alex, aus dem weggezoomt wird. In Clockwork Orange sehen wir die Verhältnisse, die – was durch dasselbe Popdesign verraten wird – zu dem Zeitpunkt auf der Erde herrschen. Das war das zweite Beispiel. 
Ich versuche mit dem dritten Beispiel zu präzisieren, welche Rolle Film innerhalb meiner Arbeit einnimmt. Ich bin dabei mir Gedanken über Walter Benjamins Text Zur Kritik der Gewalt zu machen. In der Regel ist das einer der Texte, die als kongenial hervorgehoben werden. Aber was mich daran interessiert ist, wie sich der Begriff und eben auch das Bild von Gewalt im 20. Jahrhundert verändert haben. Was bedeutet Gewalt überhaupt? Die Verallgemeinerung von Gewaltverhältnissen, generell von Gewaltvorstellungen oder dem Gewaltbegriff taucht erst mit einer zunehmenden Verrechtlichung sozialer Beziehungen auf. Dieser Umstand geht einher mit der Idee, dass sich der Staat durch das Gewaltmonopol legitimieren kann. Das heißt, im selben Maße wie Gewalt ubiquitär wird und alles irgendwie Gewalt sein kann, ist sie trotzdem in eine Rechtsstruktur eingefügt. Alles kann Gewalt sein, aber zum Problem wird Gewalt erst dann und dort, wo sie ihre Legitimität oder Illegitimität hin verhandelt werden kann. 
Wir verlieren den Begriff der Gewalt, genau so wie Benjamin es in seinem Text ausführt: Das, was wir Gewalt nennen, verschiebt sich zunehmend in einen bildlichen Bereich, verdichtet sich in Bildern. Im Wesentlichen gibt es zwei ineinander greifende Weisen, in denen Gewalt in filmische Bilder konvertiert wird. Man kann grundsätzlich sagen, dass die Gewaltdarstellungen, die wir sehen, gar nicht so gewalttätig sind. Auch wenn ja ein alter und üblicher Verdacht lautet, dass Film sehr gewalttätig sei. Das ist ja ein Phänomen, das erst ungefähr Mitte der 1980er, vielleicht mit Tarantino, geläufig wird, dass wir wirklich einmal Blut sehen und es sich auch großflächig verteilt – ohne dass das damit gleich ein Splatterfilm wird. Vielleicht sieht man mittlerweile ein bisschen zu viel Blut. Jedenfalls bis in die siebziger Jahre hinein die Darstellungen von körperlichen Auseinandersetzungen zwar einerseits strukturell sehr gewalttätig, wurde viel geprügelt, geschossen, gemordet, aber andererseits wurden nie die Konsequenzen gezeigt: Es wurde eine Unzahl von Menschen erschossen, aber keiner von denen blutete. 
 
Wie ist es bei Filmen von Sam Peckinpah?
 
Soweit ich das erinnere, mir fällt jetzt Die Killer-Elite von 1975 ein, ist es da auch so. Don Siegels Dirty Harry von 1971, der ja für die von Clint Eastwood verkörperte Brutalität berühmt ist, scheint mir kaum annähernd so gewalttätig zu sein wie The Departed, Fight Club oder Cidade de Deus.
In diesem Zusammenhang ist freilich der Western, insbesondere der so genannte Italo-Western zu erwähnen.
 
Eher reduziert im Verhältnis zu dem Gemetzel, was eigentlich angerichtet werden müsste …
 
Was hier hinzukommt, ist die Normalisierung von Gewalt über das Genre des Westerns. Der Western, vor allem der Italo-Western, zeigt ja vorstaatliche Verhältnisse menschlichen Zusammenlebens. Zwar gibt es auchrechtliche beziehungsweise rechtsstaatliche Probleme oder bestimmte Figuren, die staatliche Macht repräsentieren,aber es ist klar, dass die Gewalt, die angewendet werden darf, einen vorrechtlichen Status hat. Es ist eine sehr rohe, naturrechtliche Form von „Der Stärkere gewinnt“ oder „Faust gegen Faust“. Doch auch hier werden die letzten Konsequenzen nicht wirklich gezeigt. 
Es ist jetzt nur ein Verdacht, den ich nicht wirklich belegen kann, aber das, was das Gewalttätige dieser Filme ausmacht – sei es nun bei Peckinpah oder beim Italo-Western – lebt letztendlich nur in der bildstrukturellen Formalität oder Faktizität der dargestellten Gewalt. Ein Beispiel: In Spiel mir das Lied vom Tod besteht die Gewalt in der Inszenierung bestimmter Gewalthandlungen, die dadurch viel gewaltiger, buchstäblich bildgewaltiger werden: eine exzessive, aber blutleere, eine grausame, aber schmerzlose Formalisierung der Gewalt. Die ganz merkwürdig verregelte Idee: Wer darf wen wie erschießen und wer überlebt? Dadurch kriegt Gewalt erst ihr Bild. Gewalt als Leiden, als Erfahrung erscheint mir hier ausgeschaltet zu sein. Und doch spielt der gewalttätige Film ja mit der Illusion, Gewalterfahrungen zu vermitteln, also vermeintlich mitzufühlen, Sympathien mit dem Opfer zu entwickeln. Das ist die Paradoxie. 
Das korrespondiert mit widersprüchlichen sozialen Gewaltverhältnissen, die sich in den siebziger Jahren finden. Während die Gesellschaft selbst immer gewalttätiger, also strukturell für das Individuum brutaler wird, werden die Gewaltverhältnisse als solche immer weiter reguliert. Prügelstrafen in der Schule werden abgeschafft, Eltern dürfen ihre Kinder nicht mehr schlagen usw. Gleichzeitig findet auf filmischer Ebene so etwas wie eine Verniedlichung der Gewalt statt. Die ersten Filme, die ich mit einer großen Begeisterung gesehen habe, sind Filme mit Bud Spencer und Terence Hill. Und diese Prügelorgien, die es da gibt … Das meiste, was da zu sehen ist, ist eigentlich strafrechtlich relevant, versuchter Mord, Totschlag und so weiter. Und da ist es mit dem fehlenden Blut noch weiter getrieben. Da gibt es weder Nasenbluten noch einen Knochenbruch. 
 
Kennt ihr Cannibal Girls? Das ist ein ganz trashiger Horrorfilm von 1973, der mit Ankündigungen für zartbesaitete Menschen arbeitet. Immer wenn es Blut im Film gibt, kommt ein schrilles Weckergeräusch. Und das ist so irritierend, dass man wirklich zusammenzuckt. Dann eine kurze Szene, so ein, zwei Sekunden lang, in der Blut zu sehen ist. Dann ein besänftigendes Läuten und der Film geht weiter. Wenn man also keine Gewalt, kein Blut sehen will, besteht die Option kurz die Augen zu schließen.
 
Das Gegenteil davon wären dann Itchy & Scratchy bei The Simpsons. Da geht es ja nur um den – wenn auch parodistischen – Exzess der Gewalt.
Aber nochmal zurück zu eurer Frage, welche Rolle der Film innerhalb meiner Arbeit einnimmt. Meine Überlegungen in Hinblick auf Gewalt im Film wurden durch History of Violence von David Cronenberg angeregt. 
Nicht illustrativ, aber trotzdem sehr exemplarisch, zeigt dieser Film, wie sich ein Begriff von Gewalt ad absurdum geführt hat und eigentlich nur noch Bilder von Gewalt da sind. 
Der Titel ist, meine ich, schon doppelt zu verstehen: History of Violence ist einmal die Geschichte, die immer schon gewalttätig strukturiert ist. Gleichzeitig ist es die Geschichte, die von der Gewalt erzählt wird. Diese beiden Deutungsmöglichkeiten konvergieren, so dass man nicht weiß, ob es nicht eigentlich eine Art Parabel ist. Handelt es sich um einen Film, der in Millbrook spielt, aber trotzdem zeigt, was in der Welt vorgeht? Oder ist es nur ein privates Schicksal, was dort verhandelt wird? Meines Erachtens löst sich das auch nicht auf. Diese Nicht-Auflösung ist das bestimmende Element, das Hilflosigkeit in Bezug auf eine heute herrschende Gewaltkritik markiert. Auch die Frage nach der Legitimität von Gewalt führt nicht weiter. Genau die Instanzen – Exekutive und Legislative – die eigentlich dafür zuständig wären, versagen: Edie Stall, die Frau von Tom, um den es geht, die Anwältin, kann nichts machen; auch die Polizei ist machtlos. Der Film wird eigentlich nur dadurch beendet – man weiß aber auch nicht für wie lange – indem er in der Logik der Gewalt kulminiert. 
Ich sehe darin keine Illustration einer These, sondern folgenden Umstand: Man hat in der Theorie – Theorie heißt wörtlich „Schau des Göttlichen“ – mit dem Problem zu tun, dass die Begriffe versagen. Die Welt ist begriffslos und man versucht Begriffe mit Bildern zu stützen, stellt dann aber fest, dass Bilder selbst Begriffe brauchen, um sich in einer lesbaren Logik entfalten zu können. Insofern scheint es mir interessant zu sein, History of Violence in Bezug auf den Begriff der Gewalt zu interpretieren, denn hier zeigt sich eine Paradoxie der Bilder. Die Paradoxie der Bilder besteht nämlich darin, dass wir– um auf den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen – unter Wirklichkeit etwas Bestimmtes verstehen, konstruieren und ausbilden. Doch es ist zunächst kein Begriff von Wirklichkeit (oder Wirklichkeiten), mit dem wir uns orientieren – es sind Bilder, eine wuchernde Fülle von Bildern. Immer wieder wird ja auf die Bilderflut verwiesen. Jedoch lässt sich auch entgegen der These einer Bilderflut feststellen, dass wir es gleichzeitig mit einer enormen Bilderarmut zu tun haben, mit einer – wenn man so will – zunehmenden Entleerung von Bildern. Vielleicht sogar tatsächlich eine Unfähigkeit, Bilder als solche wahrzunehmen und sie stattdessen als Abbildungen zu sehen. 
Doch die Welt, in der wir leben, ist grundsätzlich, so wie sie strukturiert ist, nicht bildlich darstellbar, kann nicht durch die reine Illustration erfasst beziehungsweise begriffen werden. Zum Beispiel läuft hier bei unserem Gespräch die Kamera mit, nimmt mich auf, zeigt etwas von der Wand, von dem Café, in dem wir hier sitzen. Doch diese Aufnahmen werden nicht zeigen, dass hier Kapitalismus ist. Nicht einmal durch die Dinge, die signalisieren, dass diese Welt um uns herum etwas mit Kapitalismus zu tun haben könnte; selbst wenn wir jetzt einen Geldschein filmen würden, oder einen Kaufvorgang. Der Film ist eigentlich eine Apparatur, mit der die Ideologie der Unmittelbarkeit, wonach Realität immer schon irgendwie „da“ ist, eigentlich durchbrochen wird; ohne Frage gibt es aber auch eine Idee des Films, die genau diese Ideologie bestätigt, indem an dem Wunsch oder Glauben festgehalten wird, die Wirklichkeit Eins-zu-eins abfilmen zu können. Und das macht wohl einen schlechten Film aus, das ist Ideologie im Film: So zu tun, als gebe es ein Abbildverhältnis, was die Welt unmittelbar so darzustellen vermag, „wie sie ist“. 
 
Und dabei wird zugleich verschleiert, dass über bestimmte Bilder oder eben die von dir erwähnte Bilderflut eigentlich Ausgrenzungen, Hierarchien, Aufteilungen geschaffen werden. Das ist dann auch das ideologische Moment.
 
Ja, genau. Das gehört mit zu den Aspekten, die mich interessieren. Die so genannten Bildwissenschaften sprechen vom „iconic turn“ oder „pictorial turn“ und verweisen darauf. Nun lässt es das begriffliche Denken nicht nur zu, Erkenntnisse einer bestimmten Logizität zu verfestigen, vielmehr kann das begriffliche Denken das Vermögen ausbilden, Widersprüche auszuhalten. Das ist die hohe Fähigkeit, weswegen jemand wie Hegel zwischen Denken und Erkenntnis eine Gleichsetzung macht und das Ganze in das einfasst, was er Dialektik nennt. Ich bin mir nicht sicher, meine aber, dass man zunächst allein mit Bildern keine Widersprüche darstellen kann. Widersprüche, die mit Bildern sichtbar werden, sind eben nur dort sichtbar, wo „Bild“ in „Begriff“ umschlägt. Vielleicht ist es das, was Walter Benjamin „dialektisches Bild“ genannt hat. Im „Traumbild“ hingegen, das Benjamin ja vom „dialektischen Bild“ abgrenzt, sind wir konfrontiert mit Widersprüchen, die uns jedoch nicht als Widersprüche bewusst werden. 
 
Das heißt, Bilder im weitesten Sinne regen zum kritischen Denken an und können dafür sorgen, dass uns z. B. eine bestimmte Widersprüchlichkeit bewusst wird? Es ist dann natürlich nicht nur das Bild für sich, sondern die Rezipierenden und eine bestimmte Auffassung von Welt, die mit ins Spiel kommen. Ist dies eventuell das kritische Potential des Bildes, des Films oder auch der Kunst, dass darüber ein Abstand generiert werden kann, auch zu der Welt wie sie erscheint oder wie sie vorgibt zu sein? Können Bilder nicht eigentlich bewusst machen, dass letztlich alles, was es gibt – also auch Welt – etwas Gemachtes ist und somit auch nicht als natürlich Gegebenes hingenommen werden muss?
 
Also ich bin da unsicher. Und zwar nicht in dem Sinne, dass ich es für falsch halte. Aber ich glaube, dass etwas anderes dazukommt, was nicht bildlich ist. Nämlich etwas zwischen Bild und Welt, das Interesse (Inter-esse = „Zwischen-sein“). Dieses Interesse ist ein erkenntnisleitendes Interesse, voller Wünsche und Begehren: Was will ich eigentlich sehen, wenn ich etwas sehe? Aber auch dieses Interesse kann problematisch sein, wenn es sich auf eine einfache Repräsentation reduziert. Die ist ja voll mit diesen Repräsentationen. Letztendlich prägt diese krude Abbildungslogik genau das, was wir heute Hollywood-Kino nennen: Ein Kino, das eine ganz bestimmte Form von Wirklichkeit repräsentiert. Mithin ist das entscheidend: Form von Wirklichkeit, nicht einfach nur Inhalte. Und in Bezug auf die Form erscheint die im Film dargestellte Wirklichkeit eben vollständig kompatibel mit »der Welt«, auch wenn wohl jedem klar ist, dass die zum Beispiel in Die Braut, die sich nicht traut dargestellte Wirklichkeit inhaltlich eben nichts mit der »echten« Welt zu tun hat. Insofern braucht man bei Die Braut, die sich nicht traut auch keine Filmkritik, um den Film als Nonsens zu entlarven; es reicht ein Fernsehabend mit Rotwein und netten Leuten. Um allerdings den Film in seiner Ideologie zu kritisieren, muss die Ideologiekritik als Kritik der Wirklichkeit selbst formuliert werden, müssen Widersprüche erst durch ein erkenntnisleitendes Interesse erzeugt werden. Aber diese Möglichkeit ist nicht zuletzt durch die Trennung zwischen Unterhaltungskino und Kunstfilm verstellt. Diese Trennung tangiert unsere Sehgewohnheiten – nicht nur in Hinblick auf den Film, sondern in Hinblick auf die Wirklichkeit überhaupt: Gewissermaßen sehen wir die Welt eben nicht wie Rhythmus 21, sondern eher wie Die Braut, die sich nicht traut, auch wenn allgemein bekannt ist, dass solche Filme einen ziemlichen Quatsch über die Welt verbreiten. Auch scheint es mittlerweile viel anstrengender zu sein einen Godard-Film zu gucken als in den 1960er Jahren, beziehungsweise hat es wohl in den 1960ern ein bestimmtes Publikum gegeben, das Godards Filme nicht als anstrengend empfunden hat. Ich halte das im Übrigen weniger für ein Problem, das auf Seiten der Kritikfähigkeit liegt, als eines, das auf Seiten der Unterhaltungsfähigkeit besteht: Sich einzulassen auf ein Kino, das unterhaltsam ist, aber trotzdem die Möglichkeit bietet sich reflektiert mit Widersprüchen, die man in der Erfahrung dieses Kinos macht, auseinander zusetzen. Diese Dimension von Unterhaltung fehlt.
 
Würdest du sagen?
 
Das ist mein Eindruck, ja. Solche Unterhaltung mag es historisch gegeben haben, doch ich finde sie nicht im Gegenwartsfilm. Aber wie gesagt, ich sage das nicht als jemand, der sich auskennt. Das ist ein Verdacht. Zum Beispiel Glauber-Rocha-Filme, überhaupt das Cinema Novo in Brasilien: Diese Filme sind zwar keine übermäßigen Publikumserfolge gewesen, haben aber für eine bestimmte Zeit das brasilianische Kino geprägt. Übrigens auch immer im Kontrast zu bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen. Das darf man nicht vergessen. Die Militärregierung von 1964 führte beispielsweise zu einer Dringlichkeit, sich auf solche Filme einzulassen. Und zwar auch unter der Voraussetzung, ins Kino zu gehen, um sich bewusst unterhalten zu lassen. In Filmen wie Terra em transe mit ihren gefühlten acht Stunden Kamerafahrt in der Totale – der Italo-Western hat sich ja davon inspirieren lassen – erzeugt der Stillstand im Bild gleichzeitig eine kritische Dichte und eine unterhaltsame Spannung. Mein Verdacht ist, dass das so heute nicht mehr funktioniert. Ich finde es anstrengend, solche Filme zu gucken, und weiß, dass es vielen ähnlich geht. Es muss aber eine Zeit gegeben haben, in der diese Filme nicht als anstrengend empfunden wurden. Ich glaube, das gilt zum Beispiel auch für Godard-Filme. Das kann aber auch tagesformabhängig sein. Manchmal guckt man so einen Film und denkt sich: „Meine Fresse, komm zur Sache!“ Das Frauenbild von Godard ist eigentlich inakzeptabel, die Handlungen sind im Prinzip auch immer dieselben. Und dennoch habe ich Filme wie Zwei oder Drei Dinge, die ich von ihr weiß oder Außenseiterbande und Pierrot le fou mit großem Genuss und Gewinn gesehen. Ihr Unterhaltungswert liegt in einer anderen Struktur von Bildverschaltung. Und ich finde es absolut plausibel zu sagen, dass diese Erfahrung bei einem Publikum, das prinzipiell auf Filme hollywoodscher Prägung eingestellt ist, ausbleibt. Vielleicht ist das vergleichbar mit Leuten, die nur Mainstream-Rock hören. Sie finden es kompliziert, sich von Minimal Techno unterhalten zu lassen, empfinden alles, was nicht dem gewohnten Schema folgt, als kaum aushaltbare Zumutung.
Hier ist nicht nur das Verhältnis von Kritik und Unterhaltung interessant, sondern, einmal mehr, die Frage, wie Kritik und Unterhaltung mit Bild und Begriff zusammenhängen: Stimmt es denn, dass Kritik eher eine Angelegenheit der Begriffe und Unterhaltung eher eine Angelegenheit der Bilder ist? Und gibt es vielleicht ähnlich der so genannten Kritikfähigkeit auch eine Unterhaltungsfähigkeit? Mithin gehört zu der angesprochenen Bilderarmut ja auch dazu, dass wir Bilder eigentlich gar nicht unbedingt erkennen können, dass Bilder häufig verstellt oder verschleiert sind …
 
… beziehungsweise dass wir die Bilder fast gar nicht mehr aushalten können, wenn sie intensiver präsentiert werden.
 
Ja, genau. Und das, was wir dann als „Bilder“ wahrnehmen, sind eigentlich nur Symbole. Und dann merken wir aber, dass diese Symbole – auch das ist eben wieder diese Armut – extrem begrenzt sind. Wie sehen die Bilder der Liebe aus? Der Vorrat ist schnell erschöpft: rote Rose, Täubchen, Herz und …
 
… heterosexuelles Pärchen am Strand.
 
 Und das ist eine Absurdität, weil eben diese Bilder geronnene Symbole sind, die aber tatsächlich mit dem, wie zum Beispiel ein Liebesverhältnis funktioniert, nichts zu tun haben. Also es gab wahrscheinlich noch keine Liebesbeziehung auf der Erde, auch nicht die der Schauspieler-Stars, die in solchen „Liebesfilmen“ ihre Rollen haben, die so funktionierte, wie in diesen Filmen.
 
Ja, aber genauso wird es wohl auch keine Liebesgeschichte geben, die so funktioniert wie in Büchern. Oder wie man theoretisch Liebe durchdacht hat. 
 
Das weiß ich nicht. In Büchern steht nämlich nicht drin, dass Liebe funktioniert. Nehmen wir mal Werther als Beispiel. Am Ende ist ein Selbstmord. Es gibt natürlich auch Liebesfilme, die toll sind, weil sie genau diese Tragik der Liebe darstellen, von Lovestory über Die Legende von Paul und Paula und so weiter. Nichtsdestotrotz ist das gängige Bild von Liebe, das im Film konstruiert wird, eines von sich relativ schnell anbietenden Lösungen. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine weitere Problematik, die auch mit der Bilderarmut zu tun hat. Die vorgeführten Probleme sind keine von Widersprüchen mit konkretem Weltbezug; ohnehin handelt es sich um sehr isolierte Weltausschnitte. Im Märchen funktioniert das und im Märchen kann ich die Geschichte vom Aschenputtel erzählen. Aber im Film, selbst wenn es sich um eine schöne DEFA-Märchenverfilmung handelt, hakt es daran, dass das Bild nicht komplett ist, dass das Bild immer nur ein Ausschnitt ist, aber suggeriert, es sei die ganze Welt. Das übliche, stereotype und abgeschlossene Filmbild verdoppelt die Ideologie der Unmittelbarkeit und verfährt eben nicht anders als ein schlechter Roman. Die Kunst besteht indes doch darin, das Bild als Allegorie zu verwenden. Adorno und Eco haben das das offene Kunstwerk genannt.
Darf ich mal fragen, wie spät es ist?
 
Ich glaube es ist an der Zeit. Es sind schon eineinhalb Stunden vergangen. Ich gehe grundsätzlich mit dir d'accord. Es war auch mehr die Frage, wie du das im Verhältnis zur Literatur siehst. Aber ich würde dem schon zustimmen, dass zumindest eine bestimmte Art von Bildern hermetisch funktioniert, dies aber nicht offen gelegt wird und  keinerlei Leerstellen geboten werden, die gefüllt werden könnten. Zugleich sind diese Bilder jedoch flüssig und nur noch in einer piktogramm-ähnlichen Form vorhanden.
 
Das ist ein weiterer Komplex, den ich zu untersuchen interessant fände. Da spielen auch bildtheoretische Überlegungen mit hinein. Man kann ja sagen, dass es auf der einen Seite eben dieses so genannte Piktogramm gibt, also diese Verengung auf das Symbolische, auf das Piktogrammatische, und auf der anderen Seite gibt es diese Suggestion von Einheit und Geschlossenheit des Bildes durch den Rahmen. Ein Piktogramm braucht eigentlich keinen Rahmen. Wenn irgendwo ein Notausgangsschild ist, dann reicht eigentlich ein grüner Hintergrund.
 
Der Film hat an sich schon einen Rahmen, sei es nun der Fernseher oder die Kinoleinwand. 
 
Ja, genau, wobei ich glaube, dass man dennoch überprüfen sollte, ob das eigentlich stimmt. Technisch gesehen ist es so. Der Fernseher hat tatsächlich keinen Rahmen. Es sind begrenzte Bilder, die den Eindruck erwecken, dass das Bild eben genau das ist, was ich sehe. Und das ist das Problem mit der Wirklichkeit und auch mit dem Kinobild. Oftmals sehen wir verschiedene Bilder zusammen. Meinetwegen Youtube auf dem Computerbildschirm, nebenbei werden noch E-Mails bearbeitet und dergleichen. Spätestens jetzt wird ja klar, dass eben die Idee, wonach Bilder gerahmt oder fixiert sind, eigentlich nicht stimmt. Vielmehr ist das, was wir letztendlich Bild nennen, etwas, was im Kopf passiert und eher zum bildgebenden Vermögen gehört. So wie die Fähigkeit zu filtern. Und dieses Verhältnis von Fähigkeit, alles wahrzunehmen, und Fähigkeit, zu filtern und punktuell wahrzunehmen, wird uns durch den technischen Apparat abgenommen. 
Aktuell kann das gerade bei der Berichterstattung über die Atom-Katastrophe in Japan beobachtet werden: Es wird so getan, als hätte man alles an Nachrichten, was es an Nachrichten gibt. Man weiß zwar, dass die japanische Regierung und die Kraftwerkbetreiber-Firma noch Informationen zurückhalten, aber dennoch nehmen wir die Nachrichten als das komplette Bild. Sie sind es aber nicht. Und es wird so getan, als sei es das technische Medium, das Informationen filtert. Ist es aber nicht. Hier könnte genau dieses Element vom kritischen, begrifflichen Vermögen eingesetzt werden:  Bilder dadurch aufzubrechen, indem man sie formal erst einmal neu bestimmt und dann inhaltlich filtert. Es ginge um das Experiment, in einem empathischen Sinne Informationen aus dem Interesse an der Welt zu produzieren und nicht passiv aus den Nachrichten zu beziehen, also darum, die Vorstellung, die man von der Welt hat, erst in Form zu bringen und aus dieser Formation dann auch die Information zu konstruieren. Aber das ist alles assoziative Rumraterei. 
Ich muss jetzt leider zu einem Vortrag gehen, der bemerkenswerter Weise um eine ähnliche, wenn nicht dieselbe Thematik kreist. Es geht nämlich um Kommunismus und die Frage des Bilderverbotes. Das wäre für uns noch einmal ein riesiges Fass, das wir aufmachen könnten: Warum es keine wirklich kommunistischen utopischen Filme gibt. Das Fass lassen wir zu.
 
Ja, auf Grund der Zeit. Leider. Danke. Es war super.
 
Ja, ich habe zu danken. Es war sehr nett und freut mich, dass ich bei Eurem Projekt mitwirken kann.
 
 
www.rogerbehrens.net
florida.maknete.org
audioarchiv.blogsport.de
anfanggutallesgut.net
TALK
Meggie Jaworski, Julia Sippel

Video Tab

CINÉ-CLUB VI Roger Behrens

Berlin, 25. März 2011, Kritische Theorie

Filmography Tab

CINÉ-CLUB VI Roger Behrens

Berlin, 25. März 2011, Kritische Theorie

Rhythmus 21 (Hans Richter Estate, DE: 1921/24)
 
Runaway Bride (Garry Marshall, USA: 1999)
 
Lange Beine – lange Finger (Alfred Vohrer, DE: 1966)
 
Something Weird (Herschell Gordon Lewis, USA: 1967)
 
Starcrash (Luigi Cozzi, USA/IT: 1978) 
 
Teenage Mother (Jerry Gross, USA: 1967)
 
Forbidden World (Allan Holzman, USA: 1982)
 
Cosa avete fatto a Solange? (Massimo Dallamano, IT: 1972)
 
Edgar Wallace films (Alfred Vohrer et al., DE: 1960s)
 
Birth of a Nation (David W. Griffith, USA: 1915)
 
Battlestar Galactica (Glen A. Larson, USA: 1978)
 
Star Wars (George Lucas, USA: 1977)
 
Metropolis (Fritz Lang, DE: 1927)
 
Oktyabr (Sergei M. Eisenstein, USSR: 1928) 
 
The Shining (Stanley Kubrick, UK/USA: 1980)
 
A Clockwork Orange (Stanley Kubrick, UK/USA: 1971)
 
2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick, UK/USA: 1968)
 
Silly Symphonies (Walt Disney, USA: 1930s) 
 
Mickey Mouse (Walt Disney, USA: 1930s)
 
The Jazz Singer (Alan Crosland, USA: 1927)
 
The Wizard of Oz (Victor Fleming, USA: 1939)
 
Zardoz (John Boorman, UK: 1974)
 
The Wiz (Sidney Lumet, USA: 1978)
 
Men In Black (Barry Sonnenfeld, USA: 1997)
 
Films by Quentin Tarantino
 
The Killer Elite (Sam Peckinpah, USA: 1975)
 
Dirty Harry  (Don Siegel, USA: 1971)
 
The Departed (Marin Scorsese, USA/Hong Kong: 2006)
 
Fight Club (David Fincher, USA/DE: 1999)
 
Cidade de Deus (Fernando Meirelles and Kátia Lund, BR/FR: 2002)
 
C'era una volta il West (Sergio Leone, IT/USA: 1968)
 
Films starring Bud Spencer and Terrence Hill
 
Cannibal Girls  (Ivan Reitman, CA: 1973)
 
The Simpsons  (Matt Groening, USA: 1989 –  )
 
History of Violence (David Cronenberg, USA/DE: 2005)
 
Terra em Transe  (Glauber Rocha, BR: 1967)
 
2 ou 3 choses que je sais d'elle  (Jean-Luc Godard, FR: 1967)
 
Bande à part  (Jean-Luc Godard, FR: 1964)
 
Pierrot le fou  (Jean-Luc Godard, IT/FR: 1965)
 
Lovestory  (Arthur Hiller, USA: 1970)
 
Die Legende von Paul und Paula  (Heiner Carow, GDR: 1973)
 

 


Post new comment

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <em> <strong> <cite> <code> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd>
  • Lines and paragraphs break automatically.

More information about formatting options